Die Longlist des Deutschen Buchpreises 2018. Eindrücke
„Lesestoff vom Feinsten, aktuell und
preisverdächtig“ bewirbt die Website des Deutschen Buchpreises die zwanzig
Titel, die von ihrer Expertenjury dieses Jahr für die Longlist des Deutschen
Buchpreises ausgewählt wurden. Tatsächlich gibt es dieses Jahr auch ein Novum:
Es sind mehr weibliche Autoren mit ihren Werken nominiert als männliche. Aber
nur ganz knapp überwiegt die weibliche Mehrheit – die wichtigere Frage ist
jedoch: Ist die Longlist des Deutschen Buchpreises damit im Jahr 2018 auch
lesbarer für das breite Publikum geworden oder ist es vielmehr nur ein Ansatz
um die kritischen Stimmen zu besänftigen, welche schon seit einigen Jahren den
Mangel an weiblichen Stimmen unter den Buchpreisnominierten bemängeln?
Im Folgenden werde ich wieder die einzelnen
Leseproben aus dem in vielen Buchhandlungen erhältlichen Leseproben-Heft
besprechen und meines Empfindens nach bewerten. Die Reihenfolge folgt dabei der
Vorgabe des Leseproben-Heftes und nicht einer Wertung meinerseits, diese findet
ihr aber tatsächlich in den kleinen Texten, die ich zu jedem Romanauszug
verfasst habe. Allgemeinere Gedanken zum Deutschen Buchpreis und meine
Einschätzung der letztjährigen Nominierten könnt ihr nochmal hier nachlesen.
Carmen-Francesca Banciu „Lebt wohl, Ihr
Genossen und Geliebten!“
Da schlägt man nichtsahnend das
Leseproben-Heft auf und wird prompt überrascht. Nicht nur überrascht, sondern
auch positiv überrascht. Das ist mir schon einige Zeit nicht mehr passiert,
aber wie hätte ich auch damit rechnen sollen, dass diese Nominierung einen
Roman in reimlosen Versen in die Longlist einbringt? Lyrische Prosa und zwar
eine ganze Romanlänge hindurch klingt für mich unfassbar gut und so liest sich
Bancius Erzählung über den Tod des Vaters, einen Patrioten des kommunistischen
Rumänien.
Fazit: Sehr, sehr vielversprechend! Auf
jeden Fall ein persönlicher Favorit, aber auf Grund der Form (es ist nun mal
ein Requiem mit Emphasis auf „Verse“) wird es diese Perle wohl kaum auf die
Shortlist schaffen, geschweige denn den Preis gewinnen.
Link zum Buch: http://palmartpress.com/buecher/literatur/lebt-wohl/
María Cecilia Barbetta „Nachtleuchten“
Barbetta kann schreiben – einen
aspekte-Literaturpreis, der das beweist, nennt sie auch schon ihr Eigen. Es ist
etwas wirr, assoziativ, mit leichten Anklängen von Abschweifung, aber
talentiert ist sie. Wenn mich nur die Geschichte, angesiedelt in ihrer Geburtsstadt
Buenos Aires im Jahr 1974 fesseln könnte.
Fazit: Ich würde gern mehr von dieser
Autorin lesen, bevorzugt etwas, dessen Handlung nicht so wirr wirkt und mich
mehr anspricht.
Link zum Buch: https://www.fischerverlage.de/buch/maria_cecilia_barbetta_nachtleuchten/9783103972894
Maxim Biller „Sechs Koffer“
Erst dieses Jahr hat Maxim Biller die
Heidelberger Poetikdozentur erhalten, schon steht er auf der Longlist. Ich muss
gestehen, dass ich mit seinen Werken nicht vertraut war und mir auch nach einer
kleinen Recherche nichts wirklich zusagte. Auch seine Poetikvorlesungen habe
ich leider verpasst. Die Leseprobe zu „Sechs Koffer“ hat mich aber dennoch neugierig
gemacht, einfach weil Billers Prosa so wunderbar flüssig und virtuos ist.
Fazit: Definitiv Shortlist-Material und das
nicht zu Unrecht. (Ich werde mir seine
Susanne Fritz „Wie kommt der Krieg ins
Kind“
In diesem autobiografischen Roman versucht
Fritz das Schicksal ihrer Mutter nach deren Verhaftung als Deutsche 1945
nachzuvollziehen. Aus dieser Spurensuche wird ein Familienroman, der zudem das
deutsch-polnische Verhältnis historisch auslotet.
Fazit: Meine Mutter wäre sicher hin und
weg. Mich interessiert dieses persönliche Schicksal, sei es auch noch so
anrührend, nicht ganz so brennend.
Link zum Buch: https://www.wallstein-verlag.de/9783835332447-susanne-fritz-wie-kommt-der-krieg-ins-kind.html
Arno Geiger „Unter der Drachenwand“
Arno Geiger ist nun wirklich kein Name, der
in der Literaturszene unbekannt ist. 2005 gewann er als erster den Deutschen
Literaturpreis und nun folgt eine weitere Longlist-Nominierung. Das Schicksal
drei junger Leute im Jahr 1944, das Jahr in dem das Ende des Krieges schon
greifbar scheint, aber dennoch so unendlich fern ist. Es zeichnet sich bereits
mit dieser Nominierung ein gewisser Trend zugunsten der Zweiter Weltkrieg
Thematik ab (es folgen noch weitere Romane diese Coleur im Verlauf dieses
Artikels), was völlig in Ordnung, aber meiner Ansicht nach etwas einseitig ist.
Fazit: Gut geschrieben, allerdings nichts Hochliterarisches
oder Weltbewegendes. Sehr viel fiktive Emotion für einen historischen Roman,
mehr nachvollziehbare und weniger „erfühlte“ Fakten hätten mir besser gefallen.
Nino Haratischwili „Die Katze und der
General“
Haratischwilis Epochenroman „Das achte
Leben (Für Brilka)“ ist ein 1200-seitiges Werk, das in mehrerlei Hinsicht das
Adjektiv epochal verdient. „Die Katze und der General“ wirkt mit ihren 750
Seiten verglichen mit ihrem Vorgänger geradezu gemäßigt. Thematisch kreisen
beide Romane um den Zerfall der Sowjetunion und deren Erbe gerade in
Haratischwilis Heimatland Georgien (das ganz zufällig auch Gastland auf der
diesjährigen Frankfurter Buchmesse ist ...).
Fazit: Dieser Roman wird meiner Ansicht
nach ganz sicher den Buchpreis gewinnen. Mich reizt dieses weitere Mammutwerk
Haratischwilis weniger.
Franziska Hauser „Die Gewitterschwimmerin“
Auch dieser Roman ist eine Genegrationengeschichte:
Vier Generationen der Familie Hirsch lernt der Leser dabei kennen, erfährt, wie
die Historie die persönlichen Lebenswege, Entscheidungen und Persönlichkeiten
prägt.
Fazit: Ich mag ihren Schreibstil sehr, aber
Generationenromane sind einfach nicht mein Genre.
Link zum Buch: https://www.luebbe.de/eichborn/buecher/sonstige-belletristik/die-gewitterschwimmerin/id_6672505
Helene Hegemann „Bungalo“
Hegemann löste mit ihrem umstrittenen Debüt
„Axolotl Roadkill“ Furore aus und ihr dritter Roman „Bungalo“ findet sich nun
auf der Longlist. Es geht um das Nebeneinanderwohnen von Arm und Reich, dem
direkten Clash zweier Schichten, die einander nicht verstehen und nichts zu
sagen haben. Zumindest scheint es so.
Fazit: Sehr gewollt, das muss ich wirklich
nicht gelesen haben.
Anja Kampmann „Wie hoch die Wasser steigen“
Ein Debütroman über das Leben und Arbeiten
von Männern auf einer Bohrinsel. Ihr wirkliches literarisches Debüt gab
Kampmann jedoch bereits 2016 mit einem Lyrikband, der hochgelobt wurde. „Wie
hoch die Wasser steigen“ merkt man den lyrischen Hintergrund der Autorin an:
Die Sätze fließen rhythmisch ineinander, sie evoziert mit wenigen Worten ganze
Szenerien.
Fazit: Sehr vielversprechende Autorin,
vermutlich in Thema und Sprache jedoch zu weit weg vom Mainstream.
Link zum Buch: https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/wie-hoch-die-wasser-steigen/978-3-446-25815-0/
Angelika Klüssendorf „Jahre später“
Bereits mit zwei weiteren Romanen stand
Klüssendorf bisher auf der Shortlist, beide waren zudem Vorgänger von „Jahre
später“. Es geht im Abschluss dieser hochgelobten Trilogie weiterhin um das
Mädchen April, mittlerweile erwachsen geworden, und ihre ebenso destruktive wie
enttäuschende Ehe.
Fazit: Sehr interessant, nur muss ich
vorher ihre anderen autobiographisch fundierten Romane um April lesen. Leider
glaube ich nicht, dass Frau Klüssendorf trotz ihrer häufgen Nominierungen
diesen Preis in allzu naher Zukunft gewinnt.
Gert Loschütz „Ein schönes Paar“
Eine weitere familiäre Spurensuche: In „Ein
schönes Paar“ ist es der Photograph Philipp, der sich auf die Suche macht nach
der Geschichte seiner Eltern im geteilten Deutschland.
Fazit: Sehr gehackt. Das ganze Konzept, die
Handlung, es ist mir einfach alles so einerlei. Wirklich nichts, was ich
gelesen haben muss.
Ingo-Maria Mahlke „Archipel“
Mahlke ist kein Neuling auf der Longlist
des Deutschen Buchpreises. Bereits ihr Roman „Wie ihr wollt“, den sie selbst
als „Aneignung eines historischen Stoffes“ bezeichnet, stand auf der Longlist.
„Archipel“ ist nun ein Familienroman, etwas ganz anderes also.
Fazit: Vermutlich wird auch „Archipel“ für
die Shortlist nominiert – zurecht, denn es ist ein Mahlke weiß mit der Sprache
zu spielen.
Gianna Molinari „Hier ist noch alles möglich“
„Hier ist noch alles möglich“ wurde bereits
kurz nach dem Erscheinen mit dem Robert-Walser-Preis ausgezeichnet, aber
scheinbar geht da noch mehr ... Eine Bibliothekarin, bei einer Verpackungsfirma
eine Nachtwache wird, um auf den Bildschirmen immer den Wolf zu suchen, der
laut Hörensagen das Gelände unsicher macht.
Fazit: Sprachlich grandios, knapp und doch
fließend. Über den Inhalt bin ich mir allerdings nicht ganz klar.
Adolf Muschg „Heimkehr nach Fukushima“
Als ein ausgesprochen interessantes Alterswerk
von einem vielgelobten schweizer Schriftsteller klingen „Heimkehr nach
Fukushima“ sehr viele Themen an. Japan-Faszination, Liebe, einzigartige
Landschaft und schlummernder Tod.
Fazit: Dieser Auszug hat mich sehr
überrascht und mich ganz deutlich für diesen Roman eingenommen.
Eckhart Nickel „Hysteria“
Ein guter Freund und Kollege des
Buchpreis-Gewinners Christian Kracht hat es mit seinem bereits beim
Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb ausgezeichneten Roman auf die Longlist geschafft.
„Hysteria“ handelt von einem übersensiblen Mann, der einer bedenklichen
Veränderung der Himbeeren nachgeht.
Fazit: Er hatte mich ja schon mit seinem
ersten Satz. Immer ein sehr gutes Zeichen, leider aber vermutlich insgesamt zu
abwegig für die Shortlist.
Link zum Buch: https://www.piper.de/buecher/hysteria-isbn-978-3-492-05924-4
Josef Oberhollenzer „Sülzrather“
„Sülzrather“ ist der eigenwillige Roman
eines südtiroler Autors, der Lyrik, Prosa und Theaterstücke schreibt. Gespickt
mit über 200 nicht gerade kurzen Fußnoten, komplett in Kleinschreibung,
befindet sich der Leser im Labyrinth der Erinnerungen eines Zimmermanns.
Fazit: Sicherlich mit einer der literarisch
abwegigsten und anspruchsvollsten Nominierungen, weshalb es dieses Buch meiner
Ansicht nach leider nicht auf die Shortlist schaffen wird. Mich hat die Leseprobe
aber sehr neugierig gemacht.
Susanne Röckel „Der Vogelgott“
Ein riesiger Geier zieht die Bewohner eines
abgelegenen Bergdorfes in seinen Bann. Mythos und Wahnsinn liegen nah
beieinander in diesem kafkaesk anmutenden Roman.
Fazit: Oh ja, das ist doch mal wirklich
Literatur, die ich selbst lesen möchte! Allerdings ist es doch wieder zu
kafkaesk und abwegig, um den Preis zu gewinnen. Auch wenn ich mir das wünschen
würde.
Link zum Buch: http://jungundjung.at/content.php?id=2&b_id=265
Matthias Senkel „Dunkle Zahlen“
Fazit: Handlung meh, Konzept yay? Ich bin
mir hier ganz unsicher, was ich davon halten soll. Auf die Shortlist schafft es
dieser Roman aber vermutlich auch nicht, dazu ist er nicht massentauglich
genug.
Link zum Buch: https://www.matthes-seitz-berlin.de/buch/dunkle-zahlen.html
Stephan Thome „Gott der Barbaren“
Bereits Thomes erste beide Romane standen
auf der Shortlist. In „Gott der Barbaren“ nimmt er uns mit einem jungen
deutschen Missionar mit ins China des 19. Jahrhunderts. Inmitten von Terror,
Rebellion und Idealismus begegnet dieser Persönlichkeiten, die die Geschichte
Chinas prägen.
Fazit: Vermutlich erneut ein Kandidat für
die Shortlist. Zwar gar nicht meins, aber durchaus interessanter Stoff.
Christina Viragh „Eine dieser Nächte“
Auf einem Flug von Bangkok nach Zürich
beginnt ein Amerikaner zu erzählen und zieht schnell die anderen Fluggäste in
seinen Bann. Ein ungehobelter, aufdringlicher Erzähler, der nach Aufmerksamkeit
verlangt.
Fazit: Nichts, was ich wirklich lesen
möchte – der Erzählstil sagt mir leider gar nicht zu.
Link zum Buch: https://doerlemann.com/?id=603&k=2
Auf der Website des Deutschen Buchpreises
findet ihr dieses Jahr auch Hörproben aller Titel. Welcher hat euch besonders
angesprochen?
Alles Liebe, Charlotte
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