Mystisch: Sommernachtsfrauen


Jack findet sich am Boden seines Badezimmers wieder. Wie er genau dort hingekommen ist, bleibt ihm erst einmal ein Rätsel, er nimmt an, es war ein Sturz. Außer seinem Kater Harpo leistet ihm noch ein älterer Herr (ist er nun Samuel Beckett oder nicht?) Gesellschaft, während Jack sich in einem stetig voller werdenden Badezimmer wieder findet. Zunächst der alte Mann, der ihm gar so bekannt vorkommt, dann eine Frau, eine zweite, eine dritte … bis es schließlich sieben sind an der Zahl. Eine ganze Menge Frauen für so ein kleines Badezimmer. Was wollen sie alle von Jack? Zu acht lagen sie ruhig schlummernd in seinem Bett zu Beginn dieses Sommernachtsalptraums, doch nicht genug: Jedes Mal, wenn eine das Bad betritt, um dort zu bleiben, ist der erste Versuch ihrerseits, Jack zu töten - und das zum Teil mit großer Beharrlichkeit. 
Konnte Harpo eigentlich immer schon sprechen? Ist es ein absurder Traum, in den Jack da hineingerissen wurde? Der alte Mann erzählt ihm nicht alles, rettet ihn nur jedes Mal aufs Neue vor den schönen Furien, die für ihren Furor mehr als nur einen guten Grund bereithalten. S’ee ist die erste, die nach ihrem vereitelten Mordversuch ihre Geschichte erzählt. Es soll nicht die letzte bleiben in dieser endlosen Nacht der Frauen. All diese Geschichten scheinen eine Gemeinsamkeit zu haben: Jack. Wie kann das aber sein? Weshalb machen ihn diese exotischen, schönen, verführerischen, mordlüsternen Frauen verantwortlich für ihre tragischen Lebensschicksale? Wie kann er an der Verurteilung von Alice als Hexe im Salem des 17. Jahrhunderts schuld sein? Wie ist er in all diese gescheiterten Schicksale involviert – Dolly, Jane, Flo, Adele, und all die anderen? Was hat es mit den Bruchstücken von Jacks Traum über die Frauen auf sich, den er einfach nicht ganz zu fassen bekommt? 
Am Ende ist da trotz der tatkräftigen Hilfe des alten Mannes noch eine Frau übrig, die sich nicht zeigt und keine Anschuldigungen gegen Jack erhebt. Wer ist sie in diesem bunten, exotischen Reigen an Frauen quer durch alle Ethnien und Jahrhunderte? Ist sie am Ende der Schlüssel?

Verwirrend und episch kommt er daher, dieser Roman (hauptsächlich aber zunächst seeeehhhhr verwirrend), man fühlt mit Jack – man hat schlicht weg keinen blassen Schimmer, was hier passiert. Ab einem gewissen Punkt, spätestens dem Ende der ersten Lebensgeschichte, sollte man als Leser einfach loslassen, sich in die hervorragende Erzählkunst eines Autors fallen lassen, der uns, seine Leser, zwar bis ganz ans Ende im Dunkeln lässt, was es mit Jack genau auf sich hat, es im Verlauf seines Romans aber schafft, dennoch eine nahezu unerträgliche Verwirrung und Spannung zu erzeugen, gesprenkelt mit kleinsten Mikrohinweisen, womit wir es tatsächlich zu tun haben. 
Das allein wäre schon bemerkenswert (unter uns, es gibt nichts schlimmeres, als eine Handlung, bei der man schon von Seite eins durchschaut, was wie passieren wird und weshalb), nein, Keith Donohue schenkt uns noch mehr: Die Lebensgeschichten der gescheiterten, verzweifelten Furien, denen Jack in seinem Badezimmer schließlich gegenübersteht, zeichnen ein schillerndes Panorama Amerikas über (mindestens) fünf Jahrhunderte. Die Sommernachtsfrauen nehmen dabei Referenz auf amerikanische Sagen, Mythen und Märchen sowie die Zeitgeschichte, in der die jeweilige Episode spielt. Es ist kein feministisches Buch, obgleich es uns die stete Unterdrückung, Ausnutzung und Herabsetzung der Frauen all dieser Jahrhunderte vor Augen führt. Jede von ihnen hat gelitten, hat die Liebe verloren, die sie gewann, und die Rolle, die Jack dabei jeweils einnimmt, ist nicht immer dieselbe oder diejenige, welche wir als Leser erwarten. 
Dieser Roman ist und bleibt einfach eine unglaubliche Mischung aus Historie, Mythos, Rätsel und einem kleinen Hauch Übernatürlichem. Denn – der Kater spricht, meine Lieben, und Jack kannte all diese zu Furien gewordenen Frauen, auch wenn er sich nach seinem Sturz im Badezimmer nicht mehr daran erinnern mag. Mehr davon!

Sommernachtsfrauen (orig. Centuries of June) 
von Keith Donohue 
2013 C. Bertelsmann Verlag 
ISBN 978-3-580-01128-7
 
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