Blutiger Schicksalssog: Das Polykrates-Syndrom
Artur, der Protagonist und Ich-Erzähler des Romans, führt ein eher
inhaltsloses Leben: Obgleich er Akademiker ist, arbeitet er in einem Copy-Shop
und gibt nebenberuflich Nachhilfe. Seine Ehe verläuft mittlerweile auch mehr
als unspektakulär, er hat sich seiner Ehefrau Rita im Grunde untergeordnet. Die
Romanhandlung setzt ein, als Artur eines Abends im Copy-Shop Alice begegnet.
Alice, eine femme fatale, hinterlässt ihm eine Nachricht im Kopierer, auf Grund
derer Artur ihr nachgeht. Diese Begegnung wird Arturs unspektakuläre Existenz
ein für alle Mal aus ihren geordneten Bahnen werfen und nicht nur das: eine
surreale Abwärtsspirale beginnt. Denn Alice hat einen gewalttätigen Ex-Freund,
von beiden nur Arschloch genannt, der nach einer Begegnung mit Alice nicht mehr
zu den Lebenden zählt. Artur beschließt, ihr zu helfen Arschlochs Leiche zu
verstecken und das Schicksal nimmt seinen Lauf …
Mit dem „Polykrates-Syndrom“ haben wir einen Titel vor uns, der für
den Deutschen Buchpreis des Jahres 2014 nominiert war, es jedoch leider nicht
über die Longlist hinausgeschafft hat (was er jedoch – neben einigen anderen
Titeln der letztjährigen Longlist, welche ich noch besprechen werde – mehr als
nur verdient hätte).
Aufgefallen war mir dieser Titel jedoch auch schon zuvor. Das Cover
lässt den Leser schon erahnen, dass er einen Roman vor sich hat, der vor düsterer
Drastik und Dramatik nur so strotzt – zu sehen ist ein blutverschmiertes
weibliches Gesicht in Nahaufnahme.
Antonio Fian gelingt es auf sehr österreichische Weise schwarzen Humor
mit tatsächlichen Thriller-, wenn nicht schon Splatter-Elementen zu vereinen.
Der Titel des Romans entfaltet im Verlauf, nein, im Rausch der Handlung seine
wahre Bedeutung, wurzelnd in der griechischen Mythologie.
Im Klappentext des Literaturverlages Droschl heißt es so wunderbar die
„Romanfiguren sehen sich unausweichlich in Handlungen verstrickt, die weder sie
sich selbst noch die Leser ihnen jemals zugetraut hätten“. In der Tat stutzt
man als Leser an manch einer Stelle und kann sich nur fragen „Wie zur Hölle ist
das jetzt passiert?“ – und das ist neben der sprachlichen Raffinesse des
Autors, seinem düsteren Humor und seiner Fähigkeit, den Leser in eine soghafte
Handlung á la Quentin Tarantino zu versetzen, das Grandiose an diesem Roman.
„Das Polykrates-Syndrom“ hat, was so vielen aktuellen Titeln fehlt: Es
weiß den Leser zu überraschen und zu schockieren. Einfach nur phantastisch.
P.S. Vielen Dank für das „Flanellläppchen“ – das war wirklich eine
Bildungslücke J
Das Polykrates-Syndrom
von Antonio Fian
2014 Literaturverlag Droschl
ISBN 978-3-85420-950-8
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