Zwei Schwestern und der Tod: Bienensterben
Marnie und Nelly hatten es bisher nicht leicht im Leben, ihre Eltern
Gene und Izzy sind arbeitslos und interessieren sich kaum für ihre beiden
Teenagertöchter. Aber an dem Heiligabend, an dem Marnie fünfzehn wird, müssen
die beiden Mädchen noch Schlimmeres ertragen: Sie vergraben ihre gerade erst
verstorbenen Eltern im Garten. Keine der beiden ist sich sicher, wie ihr
drogenabhängiger Vater Gene tatsächlich ums Leben kam - einig sind sie sich
aber, dass niemand erfahren darf, dass Izzy und Gene tot sind. Marnie könnte
sich sonst nicht mehr um die etwas spezielle Nelly kümmern, da das Sozialamt
sie sicher trennen würde. Mit großen und kleinen Lügen, Heimlichkeiten und
Vertuschungsaktionen versuchen sie vom Verschwinden ihrer rücksichtslosen
Eltern abzulenken. Aber Lennie, ihr in die Jahre gekommener Nachbar, bemerkt
das plötzliche Verschwinden seiner unangenehmen Nachbarn sofort. Während Marnie
versucht, sich und ihre hochbegabte Schwester Nelly mit dem bisschen Geld, das
sie als Gelegenheitsdealerin verdient, über die Runden zu bringen, freundet
sich Lennie mit Nelly an. Mehr und mehr schließt er beide Mädchen ins Herz und
versucht ihnen die Familie zu ersetzen, die sie nie hatten - nichtsahnend, dass
Gene und Izzy sich nicht in die Türkei auf und davon gemacht haben, sondern
langsam unter den frisch gepflanzten Lavendelpflanzen verwesen …
„Ich habe keine Fragen, nicht an
Robert T. Macdonald, ich habe lediglich Antworten,
allesamt Lügen. Lügen sind
derzeit unumgänglich. (…)
Das geht ihn nichts an, ihn geht
überhaupt nichts etwas an.“
Mit ihrem ebenso düsteren wie skurril komischen Debütroman
„Bienensterben“ gewann Lisa O’Donnell 2013 verdient den Commonwealth Book
Prize.
In kurzen Kapiteln lässt sie ihre drei Protagonisten abwechselnd zu
Wort kommen, jedem von ihnen verleiht sie gekonnt eine einzigartige, lebendige
Stimme. Langsam, in kleinen Bruchstücken, entfaltet sich das Ausmaß der
ausweglosen Situation, in der sich die beiden Schwestern befinden. Marnie,
fünfzehn, Gelegenheitsdrogendealerin, desillusioniert und emotional abgestumpft,
macht einfach weiter mit ihrem Leben, versucht zu vertuschen, was geschehen ist
und dabei sich und ihrer Schwester ein einigermaßen normales Leben zu
ermöglichen. Ohne die beiden kann es ihnen nur besser gehen, die
Vernachlässigung, Verwahrlosung und der Missbrauch, welchen sie bisher erfahren
haben, hat nun ein Ende. Geld ist natürlich ein Problem, aber Marnie tut ihr
Bestes - wenn Nelly nur nicht ständig die Nerven verlieren würde.
Aufmerksamkeit ist das letzte, was sie jetzt brauchen. Sie waren schlechte
Menschen, ihre Eltern, und selbst im Tod, begraben unter duftenden
Lavendelsträuchern, drohen sie noch immer, ihren Töchtern das Leben zunichte zu
machen. Es muss nur einer die richtigen Fragen stellen, Lennies Hund die
improvisierten Gräber finden oder ein Bekannter die Behörden benachrichtigen.
Viel zu viele Variablen und Unsicherheiten sind das, aber was können sie schon
tun, jetzt, wo es nun einmal so ist, wie es ist? Nelly, hochbegabt aber ein wenig
autistisch, kann sich nicht ganz so einfach mit dem gewaltsamen Verlust ihrer Eltern
abfinden wie Marnie. Immer wieder hat sie emotionale Ausbrüche, die ihr
grausiges Geheimnis gefährden könnten. Aber mit Lennie, ihrem alternden
homosexuellen Nachbarn, versteht sie sich wunderbar - er teilt ihre Liebe zur
Musik und weiß ihre Begabung zu würdigen. Nur zu gerne hat er die Mädchen um
sich, bietet ihnen ein geregeltes Heim und eine Familie in der vermeintlichen
Abwesenheit ihrer verantwortungslosen Eltern. Gerade haben sich die drei in
ihrem fragilen Gespinst aus Lügen, Halbwahrheiten und Schweigen arrangiert, als
Robert T. Macdonald, Izzys Vater, unangekündigt auftaucht. Er sucht seine
Tochter und wird sich nicht so leicht davon abbringen lassen.
„Bienensterben“ ist ein bedrückend soghafter Roman über elterliche
Vernachlässigung, Lügen, Schuld und geplatzte Lebensträume. Verdrängten Schmerz
und nackte Enttäuschung in ihrer Rohheit und Wucht darzustellen, ebenso wie
stillschweigende Verdrängung, all das gelingt Lisa O'Donnell in ihrem Roman
voll schwarzem Humor und emotionaler Spannung. Schonungslos erzählt sie vom ungerechten
Los zweier ungleicher Schwestern und ihren moralisch zweifelhaften, aber umso
beherzteren Anstrengungen für ein besseres Leben. Skurril, düster, ein wenig
makaber und mit der richtigen Portion Drastik wirft die Autorin die unbequeme
Frage nach der Eignung der Eltern zur Elternschaft auf.
Bienensterben (orig. The Death
of Bees)
von Lisa O’Donnell
2014 DuMont Buchverlag
ISBN 978-3-8321-6292-4
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