Leise und doch so kraftvoll: Takeshis Haut
Frida hat ein Ohr für Geräusche, sie sind ihr Beruf. Jedes Geräusch
weiß sie so gut nachzuahmen, nur das Knacken ihrer eigenen Hüfte sollte ihrer
Meinung nach aus der Tonspur ihres Lebens herausgeschnitten werden. Ihre
Beziehung mit Robert verläuft schleppend, stockend sogar, und als Frida von dem
jungen, aufstreben Filmemacher Jonas ein Angebot bekommt, hält sie nichts
zurück.
Frida soll den gesamten Ton seines verstörenden, endzeitlichen Films
nachliefern, die Originalaufnahmen sind mit dem Tonspezialisten verloren
gegangen. An sich schon eine große Aufgabe - doch der Film spielt auch noch in
Kyoto, in Japan. Dort angekommen sieht sich Frida mit einem Störgeräusch
konfrontiert, das jede ihrer Aufnahmen nutzlos macht. Niemand außer ihr scheint
das Geräusch wahrzunehmen, selbst Takeshi, ihr einheimischer Begleiter, nicht.
Ein neuer Rekorder lässt zwar das Störgeräusch verstummen, Fridas Unruhe und
das Gefühl der Bedrohung kann er jedoch nicht zum Schweigen bringen. Gerade als
sie sich mehr und mehr in Takeshi und seine ruhige Unaufgeregtheit, den Kitzel
des Fremden, zu verlieben beginnt, wird das Störgeräusch grausame Realität: Ein
verheerendes Erdbeben erschüttert Japan ...
„Wenn Frida in ihrer Kabine saß,
könnte draußen die Apokalypse anbrechen,
und sie würde sie verpassen. Ein Ort,
der keine zeit kannte, der überall sein konnte,
ein Ort wie ein Körper ohne
Gebrechen. Nirgendwo sonst gab es Stille.
In den trockendsten Wüsten heulten
die Dünen, wenn der Wind an ihnen zerrte,
und das war kein tröstliches
Geräusch.“
Lucy Frickes „Takeshis Haut“ ist ein Roman der leisen Töne. Obwohl
Fridas Beruf sich mit Geräuschen befasst, ist die Erzählweise kaum wahrnehmbar,
ruhig, in sich geschlossen. Der komplette Verzicht auf direkte Rede trägt zu
diesem Eindruck bei; dies in Kombination mit einem personalem Erzähler, der
doch zu seinem Leser eine Distanz zu wahren weiß, macht "Takeshis
Haut" zu einem trotz aufwühlender Ereignisse ruhigen Roman. Man empfindet
als Leser wie Frida nach dem Tsunami - abgeschnitten, verloren. Es hat etwas
beunruhigend Unwirkliches, als stünde man direkt hinter einem Nebelschleier,
unfähig ihn zu lüften und sich klare Sicht zu verschaffen.
Es heißt oft, eine Liebesgeschichte sei zart - Fridas und Takeshis ist es in
der Tat. Die äußeren Umstände und Unmöglichkeiten komplett ignorierend, kann
sie nur kurz, zart und vergeblich aufblühen, um nahezu sofort wieder zu
vergehen. Schon zu Beginn ihrer Begegnung schwingt eine solche Traurigkeit im
Ton und Umgang der beiden mit, welche das Bewusstsein, dass es keine Zukunft
hat und enden wird, vorausdeutet. Frida wächst tatsächlich über sich hinaus auf
der Suche nach aufrichtiger Liebe und Wärme, wagt etwas und riskiert ihr
bisheriges, langweiliges Leben. Takeshi ist, was sie will, doch vergeblich.
Ihr persönliches Drama, der Verlust einer vielversprechenden, aber
vergeblichen, unendlich zerbrechlichen Liebe, ist eingebettet in eine noch
größere Katastrophe, das Erdbeben, welches unendlich viele Leben abrupt
beendet. Frida jedoch lebt weiter, verletzt und enttäuscht von einer so
klassisch erscheinenden gescheiterten Liebe - die genau so abrupt ein Ende
findet wie all die Leben, geraubt vom Erdbeben.
Durch seine sanften, besonders die Akustik betreffenden, zuweilen
höchst poetischen Beschreibungen, gelingt es Lucy Fricke ihrem Roman eine ganz
eigene Stimmung zu verleihen, das Unhörbare für den Leser hörbar und somit
direkter erfahrbar zu machen.
Diese leise Unaufdringlichkeit, die stillschweigend begleitende Melancholie,
sowie die sanfte sprachliche Poesie machen "Takeshis Haut" zu einem
solch außergewöhnlich guten Roman.
Takeshis Haut
von Lucy Fricke
2014 Rowohlt Verlag
ISBN 978-3-498-02016-3
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