Versunken im Spektrum der Farbe Blau: Bluets
Was als unbestimmtes Thema für ein Buch begann, breitete sich nach und
nach auf alle Aspekte des Lebens der Autorin aus. Blaue kleine und große
Schätze mehrten sich; die historische, physikalische, literarische und
musikalische Verwertung sowie die Bedeutung der einen, besonderen, lebendigen,
vielgestaltigen Farbe - Blau - faszinierten mehr und mehr. Korrespondenz mit
Menschen, die mit der Farbe in jeglicher Form zu tun haben, kommt ins Spiel,
ebenso wie ein ganz bestimmter Mann, der „Prince of Blue“, dessen Augen die
Frau, die sich in eine Farbe verliebt hat, nicht mehr loslassen. Er wird zum
Inbegriff einer Schattierung derselben, ja zum Schatten über einem
Lebensabschnitt von Maggie Nelson, tiefe Wunden zurücklassend. Die durch einen
Unfall querschnittsgelähmte Freundin zu unterstützen in ihrem Schmerz und ihrer
Hoffnungslosigkeit fällt nicht leicht, wenn man selbst gefangen ist in den
Erinnerungen an ein wie flüssig wirkendes, irisierendes, nahezu überquellendes
Blau.
Immer tiefer verflechten sich literarisches Herantasten an das einer
Hydra gleichende Blau mit dem Leben und Empfinden der Autorin, welche Blau in
all seinen Schattierungen zum Ausdruck all dessen macht, was sie belastet -
aber zugleich auch fesselt.
Mit „Bluets“ haben wir eine furios gelungene Chimäre aus Essay, Lyrik
und philosophischer Abhandlung entdeckt. Eine wahre Rarität, ein kleiner, roher
Diamant gespickt mit biographischen Schnipseln auf einer etymologischen wie
historischen Spurensuche. Alles zirkulär um die Farbe Blau angeordnet.
Blau in jeglicher Hinsicht: Ob als Farbe eines Gegenstandes, als
Lichtphänomen, als Gefühlslage oder auch als Adjektiv, welches eine Person kennzeichnet.
Wellenförmig stets um die eine, sie faszinierende Farbe, kreisend, ihren Anfang
und ihr Ende in derselben findend, erforscht Maggie Nelson nicht nur die
historische Geschichte der Farbe Blau oder ihre vielfältigen Einflüsse auf die
großen Denker aller Zeiten (Goethe, Newton oder Wittgenstein seien hier nur als
prominente Beispiele genannt), sondern ihre ganz persönliche, individuelle
Beziehung zu der Farbe, in die sie sich verliebt hat.
Doch das ist nicht alles - sie schreibt auch über den Verlust einer
Liebe, die nachfolgende Depression, die Einsamkeit und Leere, welche ihr
„Prince of Blue“ mit Augen so blau, dass ihre Farbe auszulaufen scheint, in ihr
hinterlassen hat, als er sie verließ. Maggie Nelson schreibt über eine enge
Freundin, die nach einem schweren Unfall querschnittsgelähmt ist und nähert
sich deren Schmerz, Hilflosigkeit und Ohnmacht wie ihrem eigenen mit Hilfe und
durch die Farbe Blau. Wie sie auch optisch unzählige Schattierungen besitzt, ebenso
vielfältig ist diese in ihren Bedeutungen. Die Geschichte der Farbe Blau, die
Ansichten der Schriftsteller, Physiker, Philosophen, Sänger und Künstler (Yves
Klein findet hier natürlich Erwähnung) zu dieser besonderen Farbe dienen der
Auslotung ihrer eigenen Gefühle, ihrer Situation, dem Verstehen ihrer gescheiterten
Beziehung zum „Prince of Blue“, welche sie noch immer nicht loslässt, sie
verfolgt und blockiert. Sorgsam, vorsichtig geradezu, ertastet und empfindet sie die
Geschichte dieser Beziehung nach. Die Erotik spielt dabei eine nicht unwesentliche
Rolle - selten liest man solch explizite Schilderungen, welchen es dabei
dennoch gelingt eine gewisse flüchtige und ob dessen so zarte Eleganz inne zu
haben.
„Bluets“ ist jedoch kein Buch, welches sich ausschließlich mit
negativen Erfahrungen befasst - Blau ist per Farbsymbolik auch nicht ausschließlich
negativ, sondern durchaus auch positiv belegt. So findet die Autorin vielleicht
durch ihre intensive Beschäftigung mit einer Farbe, in der sie sich selbst so
sehr wiederfindet, mit der Zeit hin zu einer helleren Schattierung der
geliebten Farbe, zu einem Blau, das Hoffnung und Ruhe verheißt.
Ein wirklich ganz außerordentliches Buch, von dem ich hoffe, dass es
noch zahlreiche Leser findet. Die Komposition aus Kunst und Literatur ist bei
Maggie Nelsons „Bluets“ so nah beieinander angesiedelt, dass es fast schon
töricht erscheint, das eine von anderen trennen zu wollen. „Bluets“ ist ein
Buch, das einen nicht mehr loslässt und einem (statt nur trivial zu unterhalten)
etwas so viel Wichtigeres gibt: Eben jenes, von dem man selbst nicht wusste, dass
es einem fehlt.
Bluets
von Maggie Nelson
2009 Wave Books
ISBN 978-1-933517-40-7
Interesse? Hier geht es direkt zum Buch auf der Verlagsseite:
Dieses kleine Schmuckstück gibt es (leider) nicht auf Deutsch - lest
es also im Original!
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