Wenn etwas fehlt: Schwarz und Silber
Signora A. ist der Kitt, der die Ehe des Erzählers mit Nora
zusammenhält. Ihre Haushälterin, liebevoll auch Babette genannt (nach Tania
Blixens Roman), ist etwas altmodisch in Sachen Ehe und idealisiert ihren vor
Jahren verstorbenen Ehemann, dem sie noch immer nachtrauert. Wie ihren Mann
Renato, so idealisiert sie auch ihre Arbeitgeber und deren kleinen Sohn
Emanuele, für den sie viel mehr Großmutter denn eine Kinderfrau ist.
Doch es kommt der Tag, an dem Babette sich weigert, weiter für das
junge Paar zu arbeiten. Nach Jahren glücklichen, familiären Zusammenlebens hat
Babette andere Probleme, denen sie sich zuwenden muss. Der Krebs, welchen sie
glaubte besiegt zu haben, ist wieder zurück. Auf den Schock und das Leugnen der
Signora A. folgt bei ihren Arbeitgebern das ernüchterte Erwachen: Was soll ohne
Babette aus ihnen werden, einem Paar, das sich ohne sie nicht mehr sicher ist,
was es füreinander empfindet?
„Während Nora mit aufgerissenen
und glänzenden Augen mit den Fingern ein K in die Luft malt, das große K für
Krebs, und die anderen Buchstaben mit den Lippen formt und dann den Zeigefinger
auf die Brust legt, redet Signora A. in einem Durcheinander von Husten und
Schluchzen wirr von einem Vogel,
der sie besucht habe, einem Vogel,
der ihr am Ende des Sommers
eine verhängnisvolle Nachricht gebracht habe.“
Kann man gemeinsam auch allein sein? Nora und ihr
Mann sind es in Paolo Giordanos neuem Roman „Schwarz und Silber“. Nach seinem
Welterfolg „Die Einsamkeit der Primzahlen“, wendet sich Giordano erneut dem
Thema der Einsamkeit zu - der Einsamkeit durch Krankheit und der Einsamkeit als
Paar.
Noras Mann, aus dessen Perspektive erzählt wird,
arbeitet unter seinem Niveau als Physiker. Auf berufliche Aufstiegschancen in
Form eines Forschungsstipendiums hat er auf Grund Noras Abneigung gegen den
Wegzug aus Italien verzichtet, stattdessen hat er eine unsichere Stelle an der
Universität inne. Nora hingegen kann sich als Dekorateurin in vielen Projekten
ausleben, ihre mangelnde Organisation und das Chaos, das ihre Arbeitsweise
begleitet, wurde bisher immer diskret von Signora A. beseitigt. Ein zentrales
Element im Leben dieses Paares verschwindet plötzlich, völlig unangekündigt,
als Babette nicht mehr als ihre Haushälterin arbeiten will. Sich nun
tatsächlich um den Haushalt, ihren Sohn und ihre Beziehung neben der Arbeit
kümmern zu müssen, überfordert beide. Zunächst versuchen sie sich zu behelfen,
indem sie Signora A. ersetzen - nur um festzustellen, dass die alte Dame mit
ihren sturen Eigenwilligkeiten bereits ein solch essentieller Teil ihres
gemeinsamen Lebens geworden ist, dass es unmöglich ist, sie einfach durch
jemand anderen auszutauschen. Beide können sich nun des Abgrundes, den die
Leerstelle offenlegt, welche Babette in ihrem Leben hinterlassen hat, nicht mehr
erwehren. Haben sie überhaupt genug Gemeinsamkeiten, um zusammen zu bleiben?
Lieben sie sich noch? Sind sie denn nicht viel zu verschieden in ihren
Temperamenten? Ohne den beschönigenden Spiegel, den Signora A. ihrer Beziehung
vorhielt, kriselt es in der Ehe von Nora und dem Erzähler.
Währenddessen kämpft Signora A. mutig mit dem
Krebs, anfangs voller Hoffnung, mit derselben Tatkraft und Sturheit, mit der
sie auch ihrer Arbeit als Haushälterin und Kinderfrau nachging.
Paolo Giordano
nähert sich in kurzen Kapiteln dem Unfassbaren einer grausamen Krankheit und
der Fragilität einer Ehe. Mit sprachlicher Präzision erschafft er lebendige
Gefühlsbilder, verleiht den Geheimnissen und dem Nicht-Ausgesprochenen Gestalt
und zeichnet so ein ebenso lebendiges wie eindrückliches Bild einer Beziehung,
die an der Schwelle des Zerbrechens ist. Liebevoll erzählt, randvoll an
Unsicherheiten, Hoffnungen und vergeblichen Wünschen ist dieser kleine Roman
eine intensive Ponderation über das, was eine Beziehung wirklich ausmacht.
Schwarz und Silber (orig. Il
nero e l’argento)
von Paolo Giordano
2015 Rowohlt Verlag
ISBN 978-3-498-02531-1
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Hier geht es zum Buch auf der Verlagsseite:
http://www.rowohlt.de/hardcover/paolo-giordano-schwarz-und-silber.html
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