Die Last des Vergessens: The Buried Giant
Viele Jahre sind vergangen, seit der legendäre König Artus Britannien
befriedet und geeint hat, und noch viele mehr, seit die Römer das Land seinem Schicksal
überlassen hatten. Britannien verfällt mehr und mehr in Unwissenheit und Nebel.
Ein in die Jahre gekommenes Paar, Axl und Beatrice, lebt wie unzählige
andere in ärmlichen Umständen in einem kleinen Dorf. Beide sind sie mehr und
mehr beunruhigt durch ihre Vergesslichkeit, eine, die jedoch nicht mit ihrem
Alter zusammen hängt. Auch die Jüngsten in ihrem Dorf vergessen alsbald die
Ereignisse der letzten Stunden und Minuten, die Erinnerungen an ganze Leben
verschwinden unbemerkt. Doch von Zeit zu Zeit haben sowohl Axl als auch
Beatrice lichte Momente, in denen sie sich kurz an Bruchstücke ihrer verlorenen
Vergangenheit erinnern. Ihr Sohn - wo war noch gleich ihr Sohn? Sie sollten ihn
besuchen, die Reise zu ihm haben sie schon viel zu lange aufgeschoben.
Beschwerlich wird sie werden, diese Reise, voller natürlicher wie
übernatürlicher Gefahren.
Ungewollt nähern sie sich der dunklen Wahrheit über den Nebel des
Vergessens, welcher ganz Britannien in seinen Fängen hält - einer Wahrheit, die
nicht nur ihre eigene Liebe auf die Probe stellen wird.
„’You’ve no fear then, of bad memories, mistress?‘
‘What’s to fear, father? What Axl and I feel today in our hearts for
each other tells us
the path taken here can hold no danger for us, no matter
that the mist hides it now (…)’”
Kazuo Ishiguro ist jedem Literaturliebhaber durch seine Romane „Never
Let Me Go“ und „The Remains of the Day“ ein Begriff. In seinem neuen Roman „The
Buried Giant“, dem ersten in einer Dekade, erzählt er mit zuweilen ätherischer
Leichtigkeit von einem betagten Paar und dessen Suche nach ihrer verloren
gegangenen Erinnerung.
Axl und Betarice sind sich nur eines gewiss: ihrer Liebe füreinander.
Alles andere ist dem mysteriösen Verlust der Erinnerungen zum Opfer gefallen -
von den Jüngeren schon längst als Konstante in ihrem Leben akzeptiert und
unbeachtet. Aber Beatrice und Axl sind anders, bruchstückhafte
Erinnerungsfetzen finden bisweilen den Weg zu ihnen, trotz dem, was ihnen allen
ihre Erinnerungen raubt und was Beatrice so treffend den „Nebel“ nennt. In
einer dieser kurzen Erinnerungen kommt ihr Sohn vor, auch diesen hatten sie
bisher vergessen, ausgelöscht aus ihrem Leben. Doch Beatrice bittet darum, ihn
endlich in seinem Dorf zu besuchen und dann vielleicht auch bei ihm zu bleiben
und auch Axl will diese Reise nicht länger aufschieben, obgleich sie
beschwerlich werden wird für zwei Menschen ihres Alters. Sie machen sich auf
über karge Berge und durch von gefährlichen Dämonen bewohnte Ebenen, erreichen aber
wie gewünscht ein Dorf der Sachsen, in dem sie Halt machen wollen, bevor sie
sich weiter auf die Suche machen nach ihrem Sohn. Eine schlechte Zeit für
Reisende scheinen sie sich ausgesucht zu haben, nach einem brutalen Ogerangriff
herrscht Angst und Gewaltbereitschaft in dem sonst friedlichen Dorf. Auch der
Sieg über die böswilligen Kreaturen durch einen furchtlosen Ritter der Sachsen
aus dem Osten kann die Stimmung nicht wenden; der junge Edwin, der so aus den
Fängen der Oger entkommen konnte wird auf Grund eines Bisses zur Zielscheibe
des Hasses. Wistan, der Ritter, bittet Axl um Hilfe bei der Rettung des Jungen,
gemeinsam wollen sie weiterreisen und den Jungen in einem britischen Dorf
unterbringen, wo er keine abergläubischen Anfeindungen zu fürchten hat. Ob das
jedoch Wistans einzige oder gar wahre Motive sind, ist nicht auszumachen, will
er sich doch vor den lokalen Rittern des Lord Brennus als zurückgeblieben
ausgeben.
Mehr und mehr Erinnerungsfetzen kehren zu Axl und Beatrice zurück,
nicht alle zeugen von Freude und Glück. Dennoch sind beide bestrebt, ihre
Erinnerung zurückzuerlangen - ihre Liebe und Hingabe füreinander kann durch
nichts getrübt werden, darüber sind sie sich einig. Dass der Nebel sie jedoch
nicht nur um ihre persönlichen Erinnerungen beraubt, sondern dieser der
gesamten Bevölkerung Vergessen beschert, verdrängen beide in ihrem Bestreben.
Die wahre Funktion des Nebels und dessen Ursprung sind düsterer als
sie sich es je träumen lassen könnten. Die Konsequenzen seines Verschwindenes wären
fatal: Ohne ihn würde der Riese, der nun friedlich in seinem Grab aus Vergessen
schlummert, erneut erwachen und voller Zorn, Hass und Rache Vergeltung auf ihr
Land herabregnen lassen.
Zunächst beginnt die Handlung ein wenig schleppend, was jedoch vor
allem der Unwissenheit geschuldet ist, die wir Leser mit Axl und Beatrice
teilen. Vergessen regiert das Land lange nachdem Artur gefallen ist,
Mythologisches und Historisches glaubhaft und nahtlos zu verknüpfen ist für
Kazuo Ishiguro ein Leichtes. Mehr und mehr lüftet sich der Nebel nicht nur über
Beatrice und Axl, Zerstörerisches lauert hinter diesem zarten Schleier,
Vernichtung und blutige Rache verheißt das Zurückerlangen der Erinnerungen.
Denn nicht alles, was Vergessen wurde, sollte jemals wieder an die Oberfläche
gelangen.
Unvorhersehbar und voller kleiner Wunder steckt dieser wunderbare,
vielschichtige Roman, den sich alle Liebhaber von Historischem und
Mythologischem nicht entgehen lassen sollten.
The Buried
Giant (dt. Der begrabene Riese)
von Kazuo Ishiguro
2015 Faber & Faber
ISBN 978-0-571-31504-8
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Hört sich doch toll an! Steht somit auch auf meiner Lese-Liste! :)
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