Nicht hier und nicht dort: Elefanten im Garten


Eine Familie wandert vom Kosovo in die Schweiz aus. Der Vater geht vor, die Mutter und die drei Kinder kommen nach. Jahrelang leben sie in der Ungewissheit, ob sie nun in der Schweiz bleiben dürfen oder ob sie zurückgeschickt werden. Arbeiten dürfen die Eltern lange Zeit nicht, Anna und Baba sitzen daheim, rauchen und streiten sich. Die älteste Tochter versucht sich anzupassen, will so sein wie die schweizer Mädchen. Ihr schwarzes Haar gegen das Blonde tauschen, ihre abgetragene Kleidung aus zweiter Hand gegen neue, ungetragene. Aber sie ist anders, ihre Familie ist anders und das sieht man ihr nicht nur an, man hört es auch.
Mit dem Wenigen, was sie haben, versucht die Familie über die Runden zu kommen, immer von einer Woche zur nächsten. Nur dazugehören möchte die Erzählerin, ein Mädchen sein wie all die anderen. Gefangen zwischen einer neuen Heimat, in der sie sich fremd fühlt, und einer alten, in der sie nicht mehr zuhause ist; immer anders ist, immer fremd und halb, niemals ganz.

„Ich mag die deutsche Sprache nicht; sie ist meine Muttersprache.
Meine Mutter spricht kein Deutsch.
Mit dem Verlassen meiner Kindersprache habe ich mich selbst verlassen.
Ich habe mir meine Muttersprache selber beigebracht, da war ich zehn.
Nach fast zwanzig Jahren sind meine Hände größer geworden;
 ich fühle mich immer noch gleich.
Ich hatte gelesen, wenn man tot sei, fühle man nichts mehr. Das gefiel mir.“

Meral Kureyshis Roman „Elefanten im Garten“, der für den Schweizer Buchpreis 2015 nominiert wurde, erzählt in reduzierter, sachlicher Sprache die Geschichte einer Heimatlosen zwischen zwei Kulturen, gefangen im Stillstand zwischen idealisierter Kindheit und trostloser Jugend in der Schweiz. Die Erzählerin, deren Geschichte sich an eigenen autobiographischer Versatzstücken der Autorin orientiert, beginnt den Roman nach dem Tod ihres Vaters, ihres geliebten Baba. Er wollte in die Schweiz auswandern, malte sich ein besseres Leben in einem neuen Land aus, hoffte für sich und seine Familie auf Chancen und eine Zukunft. Seinen Optimismus hat er nie verloren, auch nach zahlreichen Absagen und immer wieder Warten, in einem Schwebezustand zwischen Alt und Neu. Von ihrer Mutter und der Heimat ihrer Kindheit entfremdet sich die Erzählerin ungewollt zunehmend – bis sie irgendwann nirgends wirklich dazugehört, weder in der Schweiz noch in Prziren. Der unvermittelte Tod ihres Vaters löst die Suche nach ihrer Heimat aus, ziellos ist sie geworden, starr in ihrem Schwebezustand zwischen den Welten, zwischen den Kulturen verharrend und sich dabei selbst von der Außenwelt abschottend.
„Elefanten im Garten“ ist ein kluger Roman über das Anderssein, über ein Leben in der Fremde und den Versuch, sich dort trotz aller Widrigkeiten eine neue Heimat zu schaffen. Emotionslos, zuweilen lakonisch und auch poetisch erzählt die Protagonisten von ihrem einsamen Alltag und ihrer Kindheit, die sie mehr und mehr mit ausgedachten Geschichten ausfüllt und so ihre eigene Wahrheit und Vergangenheit erschafft. Im Erzählen versucht sie mit ihrer Vergangenheit abzuschließen, endlich einen Neuanfang zu wagen. 
Ein gelungenes, da persönliches und unsentimentales Porträt der Folgen der Migration.

Elefanten im Garten
von Meral Kureyshi
2015 Limmat Verlag
ISBN 978-3-85791-784-4
 
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