Hart werden, aber dabei zart bleiben: Es bringen
Mit sechzehn ist Luis nach seinem besten Freund Milan der zweite unter
den Jungs des Blocks. Luis ist der Mädchenschwarm - und die Fickwetten mit
seinen Jungs gewinnt er fast immer. Er ist eben ein echter Bringer. Für sein
Leben hat er einen Plan, er trainiert jeden Tag dafür, ist sein eigener Trainer
und seine Mannschaft. Es gibt viel zu trainieren, die Angst zu besiegen vor
allem.
Luis Leben ist in Ordnung, er hat es komplett im Griff. Alle Mädchen
fliegen auf ihn, aber er lässt keine an sich heran, auch nicht die vollbusige
Jenny, die allen Jungs den Kopf verdreht. Nur Luis nicht. Denn jede, die
ernsthaft eine Chance bei ihm haben wollte, die müsste es zuerst mit seiner
absoluten Traumfrau aufnehmen: seiner jugendlichen Mutter. Es geht ihm nichts
über seine unschlagbar coole Ma, nur Milan rangiert ungefähr in derselben Liga
wie sie.
Doch diesen Sommer wird alles anders. Es gibt viele Regeln zu
beachten, damit die Freibadsaison phantastisch wird - was aber passiert, wenn
Milan selbst sich nicht mehr daran hält und alles, aber auch wirklich alles
durcheinanderwirft? Wird Luis sich als Bringer treu bleiben oder wird auch er
sich verändern in diesem Sommer?
Ein wirklich absolut ungewöhnliches Debüt. Mit „Es bringen“ erreichte
Verena Güntner die Finalrunde des OpenMike, gewann den dritten Platz beim
MDR-Literaturpreis und den renommierten Kelag-Preis. Zu Recht.
Als Leser taucht man sofort komplett ein in die schockierend
oberflächliche, sexistische, dabei aber dennoch oft naive Gedankenwelt des
Protagonisten. Die von Verena Güntner verwendete Sprache, derb, jugendlich,
unmittelbar, sorgt dafür, dass der Leser hineingesaugt wird in Luis kleine
Welt.
Immer wieder fragt man sich: Ist diese Generation wirklich so?
Bedeutet ihr alles so wenig, wie es bei Luis den Anschein hat? Was natürlich
nicht heißt, dass Luis nichts Bedeutung zumisst. Im Gegenteil. Er wirkt und
spielt Erwachsener, wenn er bei seinen Jungs ist und bei den Mädchen, die er
rumkriegen will oder bereits rumgekriegt hat - dabei zeigen die Dinge, die ihm
wirklich etwas bedeuten (seine von ihm absolut vergötterte Mutter, sein Vorbild
Milan, sein Trainingsprogramm und Nutella, die Stute des Nachbarn), wie jung,
kindlich und zum Teil naiv er noch ist unter seiner harten Mackerfassade. Die
aber doch nicht mehr ist als das, eine Fassade.
Luis ist ein ausgesprochen interessanter Protagonist. Einer der in
seiner verstörender Art, seiner schockierenden Gleichgültigkeit gegenüber dem,
wie er die Mädchen behandelt, wahnsinnig abstoßend wirkt. Indem die Autorin
aber seine personale Perspektive als Erzählperspektive wählt und den Leser so
mitnimmt in Luis kindlich-naive Gedankenwelt, zeigt sie eine Seite ihres nach
außen hin so toughen, unsympathischen Protagonisten, welche die Meinung des
Lesers in einen Zweispalt geraten lässt. Luis ist so zart oft, so unreif zwar,
aber im Grunde ein guter Kerl, der nur versucht, stark zu sein und mit jedem
Tag stärker zu werden. Seine Kindheit ist der Auslöser dafür, dass er seine
Ängste besiegen will - um jeden Preis. Er muss stark sein für seine Ma, für sie
beide. Denn er ist ein Bringer mit einem Plan. Das Motiv des imaginären
Trainers und der Mannschaft ist seine persönliche Art, sich anzutreiben, sich
Stück für Stück abzuhärten und zeigt dabei doch zugleich, wie verwundbar er
wirklich ist.
Als in diesem Sommer seine so wohlgeordnete, bekannte Welt aus den
Fugen gerät, muss Luis sich sich selbst stellen. Er kann sich nicht länger
hinter dem Trainer und der Mannschaft verstecken, er kann die coole Fassade
nicht aufrechterhalten, wenn nichts mehr so läuft, wie es nach seinem Plan
laufen sollte. Luis muss endlich beginnen, erwachsen zu werden. Er muss
anfangen, zu sich zu stehen.
Mit ihrem Debüt „Es bringen“ hat Verena Güntner einen außergewöhnlich
einfühlsamen Roman über die Zerrissenheit eines modernen Jugendlichen
geschrieben. Einem, der versucht, allen Anforderungen von außen an ihn gerecht
zu werden, indem er sich selbst abhärtet und seine sanfte Seite niemals zeigt.
Großartige, da widersprüchliche, Literatur.
Es bringen
von Verena Güntner
2014 Kiepenheuer & Witsch
ISBN 978-3-462-04692-2
Interesse? Hier geht es direkt zum Buch auf der Verlagsseite:
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