Macht und Schein: Der Fremde im Palazzo d'Oro
Einmal die Welt bereisen, einmal Italien erleben - diese Reise macht
ein amerikanischer Student in den 60er Jahren. Er reist von Stadt zu Dorf zu
Stadt, gerade ist er in Sizilien, genauer: in Taormina, angekommen. Diese
kleine Stadt hat es ihm angetan wegen ihrer Verbindung zu D.H. Lawrence, der
hier eines seiner berühmtesten Gedichte verfasst haben soll. Wenige Touristen
halten sich dort auf, viel zu heiß ist der sizilianische Sommer zu dieser Zeit
des Jahres.
Der namenlose Erzähler ist ein ehrgeiziger junger Mann, seine
Mittellosigkeit nutzt er als Rechtfertigung und begehrt dabei doch nichts mehr,
als reich zu sein. Deshalb fällt ihm auf der Terrasse des berühmten Palazzo
d’Oro auch sogleich das schöne, wohlsituierte Paar auf, welches er bei der
nächsten sich bietenden Gelegenheit durch seine Skizzen auf sich aufmerksam zu
machen sucht. Das Paar ist jedoch kein Paar - doch reich sind sie ohne Zweifel, der
Erzähler ist angetan und lässt sich bereitwillig auf Harouns unmoralisches Angebot
ein: Er sei eingeladen, mit ihnen (der Gräfin und Haroun, ihrem Arzt) auf
dessen Kosten im Palazzo d’Oro zu bleiben und ihnen Gesellschaft zu leisten.
Doch das ist nicht die einzige Bedingung - was zunächst als glückliche Fügung
des Schicksals erscheint, erweist sich als folgenschwerste Begegnung seines
Lebens.
„Der Fremde am Palazzo d’Oro“ ist ein ausgesprochen erotisch
aufgeladener Roman, dessen Darstellungen von Sexualität, Erotik und Macht nicht
besser beobachtet und in suggestiverer Prosa verpackt sein könnten.
Der namenlos bleibende Erzähler schreibt in der Rahmenhandlung, welche
das erste und letzte Kapitel umfasst, die Geschichte dieser Begegnung in der
Hitze des sizilianischen Sommers nach vierzig Jahren nieder. Er ist schon lange
kein mittelloser Student mehr, ganz so wie es ihm die Gräfin in diesem Sommer
prophezeite, hat er es als gefeierter aber nicht unumstrittener Künstler zu
Ruhm und Reichtum gebracht. Retrospektiv erzählt er uns nun, erneut in Taormina
am Palazzo d’Oro angekommen, von dem einen Sommer, welcher sein Leben prägen
sollte.
Jung, ehrgeizig, intelligent, gebildet und gutaussehend ist er, als er
als Student Italien bereist. Taormina sollte nur eine von vielen Stationen
werden, doch die Begegnung im Palazzo d’Oro verändert nicht nur seine
Reisepläne, sondern auch ihn selbst und den Verlauf seines Lebens. Getrieben
von Neid und Gier, will er nichts anderes als das scheinbar sorgenfreie und
müßiggängerische Leben der Reichen leben. Da kommt ihm die Gelegenheit, die
Haroun, ein orientalisch-stämmiger Arzt, ihm bietet, gerade recht. Schnell
gewöhnt er sich an die Vorzüge des Geldes - er genießt sein kostspieliges
Zimmer, die reichhaltigen Mahlzeiten und die Ausflüge aufs Land mit seinen
Gastgebern. Doch es ist nicht reine Philanthropie auf Grund welcher Haroun
unserem mittellosen Studenten all dies darbietet; ganz im Gegenteil, er hegt
eigene Absichten und hat eine sehr spezielle und etwas unmoralische Aufgabe für
ihn: Er soll die Gräfin, unnahbar, arrogant und dennoch übernatürlich schön,
verführen. Sie sei unglücklich und glaube nicht an ihre eigene Schönheit. Der Erzähler ist Feuer und Flamme - nichts leichter und angenehmer,
als eine solch interessante und begehrenswerte (da reiche und aristokratische) Frau
zu verführen. Das Unterfangen erweist sich jedoch als schwieriger als erwartet,
denn die unzugänglich kalte Gräfin interessiert sich wenig für den
amerikanischen Studenten, sei er noch so zuvorkommend, charmant oder
intelligent. Erst durch eine (durchschaubare) Finte Harouns kann der Erzähler
sie langsam für sich gewinnen.
Was ihn jedoch erwartet, hätte er sich ihn seinen wildesten Träumen
nicht ausmalen können: Die Gräfin ist trotz ihres höheren Alters eine
ausdauerndere, anspruchsvollere und phantasievollere Liebhaberin als er je
hatte. Ihr Hunger und ihre Erwartungen zehren an ihm, ihr Spiel aus
Beleidigung, Unterwerfung und Dominanz schürt seine Abneigung ihr gegenüber
ebenso stark wie seine rohe Begierde. Um der Dominanz der Gräfin zu entfliehen,
müsste er jedoch den Komfort und Genuss aufgeben, den ihr Arrangement und Geld
ihm ermöglichen. Dennoch kann erst ihr größtes wie schockierendstes Geheimnis
dem Erzähler seine Unfreiheit, Oberflächlichkeit und Blindheit vor Augen
führen.
„Der Fremde im Palazzo d’Oro“ erscheint auf den ersten Blick als leichte
Sommerlektüre. Hinter dieser ersten Täuschung, verpackt in wundervoll
irisierendes, geprägtes Leinen, versteckt sich jedoch eine Geschichte voll
roher, animalischer Sexualität. Das Flirren der sexuell aufgeladenen Stimmung
in Taorminas sommerlicher Hitze, die egoistischen Motive aller handelnden
Figuren, das gefährliche Spiel der Gräfin aus Abhängigkeit, Unterwerfung und
Dominanz und nicht zuletzt ihr Geheimnis machen Paul Theroux Roman zu einem der
besten, den ich dieses Frühjahr lesen durfte. Mit seiner mühelos erscheinenden
sprachlichen Präzision, mit vor Erotik und Unterbewusstem strotzender Prosa
gelingt es ihm, die Abgründe und Machtverhältnisse in dieser fragilen,
egozentrischen Beziehung messerscharf und hypnotisierend darzustellen. Paul Theroux Roman „Der Fremde im Palazzo d’Oro“ handelt von einer
lebensbestimmenden Begegnung, von Egoismus und Oberflächlichkeit, von Macht und
Abhängigkeit und nicht zuletzt vom blendenden, erotisierenden Zauber des
äußeren Scheins.
Der Fremde im Palazzo d’Oro (orig. The Stranger at
the Palazzo d’Oro)
von Paul Theroux
2015 Hoffmann und Campe
ISBN 978-3-455-40523-1
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