Mut und Selbstlosigkeit im Angesicht des Schreckens: Das Fieber
Seit dem tragischen Unfalltod ihrer Eltern lebt Cleo Berry bei ihrem
Bruder Jack, einem renommierten Architekten, und seiner Frau Lucy. Als die beidem
1918 einen Urlaub in San Francisco verbringen wollen, soll Cleo - sehr zu ihrem
Unmut - die Zeit komplett in ihrem Internat St. Helen‘s Hall verbringen, obwohl
das Internatsleben mit seiner nicht vorhandenen Privatsphäre noch nie etwas für
sie war. Bald steht ihr Abschluss bevor, doch Cleo quält sich noch immer mit
der Entscheidung, was sie mit ihrem Leben anfangen will.
Sehnsüchtig erwartet sie die Rückkehr ihres Bruders, als auch Portland
endgültig vom Schatten der Spanische Grippe überrollt wird, welche sie alle so
weit weg gewähnt hatten. Drastische Sicherheitsmaßnahmen werden sofort von der
Stadtverwaltung ergriffen und auch Cleos Internat soll geschlossen werden. Doch
sie will und kann nicht eingepfercht auf die Rückkehr ihres Bruders warten,
stattdessen beschließt sie, entgegen der Anweisungen des Lehrpersonals, das
Internat zu verlassen und zuhause allein zu warten. Durch eine Zeitungsannonce
aufmerksam geworden, meldet sich Cleo nur wenig später wider besseren Wissens
freiwillig als Helferin beim Roten Kreuz.
Makiia Luciers hochgelobtes und im englischsprachigen Raum vielfach
ausgezeichnetes Debüt „Das Fieber“ ist ein mitreißender historischer Roman,
dessen einfühlsame Schilderungen des Schreckens und der Machtlosigkeit zu
Zeiten der Spanischen Grippe eindringlicher nicht sein könnten.
Cleos spontane Entscheidung, dem Roten Kreuz als Helfer in Zeiten
einer gefährlichen Pandemie beizutreten, fußt in der traumatischen Erfahrung
des Todes ihrer Eltern. Damals hatte sie hilflos mitansehen müssen, dass keine
Hilfe kam - der Gedanke, dass nun Menschen (und vor allem Kinder) vom Fieber
niedergestreckt in ihren Wohnungen auf Hilfe hoffen, die nicht kommt, lässt ihr
daher keine Ruhe. Wer soll helfen, wenn nicht sie? Deshalb hilft Cleo, obgleich
sie sich fürchtet, obwohl sie sich oft ekelt und mehr als einmal glaubt, nicht
die Kraft dazu zu haben, weiterzumachen. Niemals jedoch zweifelt sie an ihrer
Entscheidung. Hannah, die Leiterin des Behelfshospitals im Konzerthaus, macht
ihr Mut, ebenso wie Kate, die im gleichen Alter ist wie Cleo und auch
freiwillig hilft. Als Sergeant Edmund Parrish, der im Einsatz in Frankreich
schwer verletzt wurde, herausfindet, dass Cleo komplett allein wohnt, überzeugt
er Hannah davon, Cleo in Zukunft nicht mehr allein von Tür zu Tür durch die
Stadt ziehen zu lassen auf der Suche nach Infizierten. Mit Kate, die ihr nun
als Unterstützung zur Seite steht, freundet sich Cleo schnell an, die
menschlichen Dramen und das Elend, welches sie gemeinsam erleben, schweißen sie
eng zusammen. Doch wie lange können sie ihr Schicksal herausfordern, ohne der
Grippe selbst zum Opfer zu fallen?
Trotz ihrer Angst und dem Wissen um die Gefahr, der sie sich aussetzt,
kann Cleo nicht einfach daheim bleiben. Hannah, Kate und Edmund machen ihr Mut,
weiterzumachen, obwohl es mehr als verständlich wäre, sich selbst zu schützen.
Dass sie Leben rettet und Menschen hilft, welche es ohne sie vermutlich nicht
geschafft hätten, lässt Cleo weitermachen, obwohl jeder Tag neue Schrecken und
Verluste bereithält. Kraft und Mut zu finden, um weiterzumachen, trotz großer Angst, Verzweiflung
und der alles erfassenden Ohnmacht, darum dreht sich Makiia Luciers Roman „Das
Fieber“. Seinen Nächsten in gefährlichen Zeiten zur Seite zu stehen, Fremden zu
helfen, obwohl man dadurch sein eigenes Leben und seine Gesundheit aufs Spiel
setzt, ist eine ebenso mutige wie rare Entscheidung.
Die in drei Wellen verlaufende, hochansteckende und gnadenlose
Spanische Grippe kostete 1918 bis 1920 mehr als 50 Million Menschen das Leben -
ungewöhnlich war, dass auch junge Menschen von ihr betroffen waren. Umso
mutiger und größer muss Cleos selbstloser Einsatz (und der vieler weiterer,
immerhin ist Cleo wie alle anderen eine rein fiktive Figur) für das Leben
anderer gewürdigt werden. Sein eigenes Leben nicht über das des Nachbarn zu stellen, sondern
wahrhaft mutig, will heißen trotz großer Furcht, beherzt für deren Leben
einzutreten und zu helfen, ist mehr als nur bewundernswert.
„Das Fieber“ ist ein beeindruckender historischer Roman über Mut und Selbstlosigkeit,
über Freundschaft, Liebe und Verlust ebenso wie ein passioniertes Plädoyer
dafür, die lähmende Ohnmacht und persönliche Furcht im Angesicht eines
unsichtbaren, unschlagbaren Feindes zu überwinden und das Richtige zu tun.
Das Fieber (orig. A Death-Struck Year)
von Makiia Lucier
2015 Königskinder Verlag
ISBN 978-3-551-56012-4
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Im Englischen ist es auch bereits als Paperback erhältlich:
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