Finnische Romankunst - Troll: Eine Liebesgeschichte
Mikael, genannt Angel, ein gutaussehender Werbephotograph, rettet nach
einer enttäuschenden und alkoholgetränkten Nacht einen jungen Troll vor einer
Horde Jugendlicher. Er beschließt, den Troll, den er später Pessi taufen wird,
mit zu sich in die Wohnung zu nehmen und ihn aufzupäppeln. Ein wildes Raubtier in einer Wohnung eingepfercht? Was fressen Trolle
überhaupt? Angel hatte so einiges nicht durchdacht, als er aus Mitleid und
einem starken, unerklärlichen Verlangen Pessi bei sich aufnahm. Als Pessi
langsam genest, wird Angels Bindung zu ihm immer stärker, er will Pessi um
jeden Preis beschützen und stößt dabei auch Martes von sich, den er zuvor so
verzweifelt wie unerwidert begehrte. Pessi beschützt sein Alphamännchen Angel ebenso eifersüchtig, seine
Pheromone bringen dabei Angels Liebesleben nicht nur ein wenig durcheinander: Statt Martes begehrt er Pessi, den Troll; lebt seine Leidenschaft, die
er selbst als unnatürlich empfindet, aber stellvertretend mit dem unsterblich
in ihn verliebten Ekke aus; seinen Ex, einen Tierarzt, nutzt er nur noch aus,
um Pessi zu helfen; die thailändische
Katalogbraut des Nachbarn, Palomita, erhofft sich unterdessen von Angel
einen Ausweg aus ihrer brutalen Ehe.
Lange kann man einen eifersüchtigen Troll bei derartigen
Beziehungsverwirrungen kaum geheim halten, die Situation droht – da Pessi nun
auch als Model in der neuesten Werbekampagne von Martes und Angel zu sehen ist
– zu eskalieren.
Am Ende bleiben Angel nur Pessi und eine Verzweiflungstat.
Finnische Literatur wirkt auf uns Mitteleuropäer im generellen meist
seltsam. Wirklich äußerst seltsam. Mit „Troll: Eine Liebesgeschichte“ hat Johanna
Sinisalo einen schrägen, unterhaltsamen und fesselnden Roman geschrieben, der
jegliche Genregrenzen sprengt.
Die Romanhandlung basiert auf einer simplen und nicht
unwahrscheinlichen Annahme: In Sinisalos Romanwelt sind Trolle keine
Fabelgestalten, sondern spät entdeckte Raubtiere, verwandt den Katzenaffen
Südostasiens, mit einer evolutionären Entwicklung vergleichbar der des
Menschen. Pessi, der junge Troll, zeigt menschliche Intelligenz, Kreativität,
Erinnerungsvermögen, Lerneifer, Eifersucht und schließlich Mordlust.
Die Beziehung Angels zu Pessis wirkt auf den Leser verwirrend – aus
Mitleid wird rücksichtslose, animalische Begierde, doch Pessi bleibt als Troll
ein Tier und dazu noch ein junges, was so manchem Leser unangenehm aufstoßen
dürfte. Die Autorin zeigt damit aber nur Pessis unfassbar erotisierende Wirkung
auf Angel. Ein Taumel, ein Abgrund aus Begierde tut sich da auf, bereit, den
Protagonisten zu verschlingen.
Gekonnt vermischt Johanna Sinisalo wechselnde Perspektiven der
Romanfiguren mit Einschüben über Trolle aus der finnischen Folklore, Literatur
und Mythologie. Der Troll tritt in diesem Roman aber ganz unüblich unserer
Vorstellung nicht als plumpe, kleinere Variante des Riesen auf, nein, er ist
ein satanischer Verführer, ein animalischer Satyr, ein dämonischer Sukkubus
oder gleich der Teufel selbst.
Trotz dieser Symbolik bleibt Pessi sympathisch, geradezu furchterregend
menschlich – eine Qualität, die dem Roman eine weitere Bedeutungsebene zuweist,
die stark an „Planet der Affen“ erinnert. Nur weil sie bisher nicht als
Konkurrenz zum Menschen auftraten, bedeutet es nicht, dass die Trolle
unterlegen wären.
Die unvermeidbare Eskalation der Ereignisse reißt Angel aus seiner
wohlbehüteten Welt hinein in die Höhle der Trolle.
Andere Rezensenten in der NZZ oder der SZ konnten diesem Glanzstück
zwischen Fantasy, Mythologie, Sci-Fi, Beziehungsdrama und Sittenstudie nichts
abgewinnen. Warum muss denn immer alles vorhersehbar, langweilig sein? Sich an
bekannte, etablierte Normen halten? Es gibt nichts Furchtbareres als elende
Gleichmacherei. Es sind nun mal eben nicht alle gleich und das ist gut so. Wir
brauchen mehr Vielfalt auf dem stagnierenden, Mainstreambrei produzierenden
Literaturmarkt - und da tut es hin und wieder gut, sich von der sich meist um
ähnliche Themen kreisenden deutschen Literatur zu entfernen, einen Sprung in
andersartige, überraschende, wilde Literatur aus einem anderen Kulturkreis zu
machen. Das kann bisweilen sehr erfrischend sein und einem einen neuen
Blickwinkel auf Literatur und wie sie zu sein hat geben.
Johanna Sinisalo ist mit ihrem Roman über einen Homosexuellen, der
seiner animalischen Begierde zu einem mystisch wirkenden Naturwesen erliegt und
dessen Leben daran zerbricht, ein kraftvoller, drastisch schockierender Roman
gelungen.
Die Kunstfertigkeit liegt dabei jedoch nicht nur in der Drastik der abnorm
wirkenden Beziehung Mensch-Troll, nein, auch in der sprachlichen Vielfalt, den
zahlreichen Perspektiven, die dem Leser einen kaleidoskopartigen Blick auf die
sich zuspitzenden Ereignisse geben, wie auch in der ungewöhnlichen Mischung
verschiedener Genres.
P.S. Anmerkung an die lieben Verlagsleute von Klett-Cotta, bzw.
Tropen.
„Troll: Eine Liebesgeschichte“ ist ein intelligenter, grandioser Roman
ich bin dankbar, ihn durch den Verlag entdeckt zu haben – doch wie sinnvoll ist
es, Restexemplare einer so offensichtlich vergriffenen Auflage von 2005 (auch
das Taschenbuch bei Rowohlt gibt es nicht mehr …) als Leseexemplare auf der
Frankfurter Buchmesse 2014 an
Buchhandels-Azubis herauszugeben?
Was bitte nützt das dem Verlag (außer offensichtlich Kosten zu sparen,
da man die Restexemplare nicht mehr entsorgen muss)?! Sollte man nicht besser
neuere Titel, lieferbare Titel
bewerben, die dann auch empfohlen und verkauft werden können?
Troll: Eine Liebesgeschichte (orig.
Ennen päivänlaskua ei voi)
von Johanna Sinisalo
2005 Tropen Verlag
ISBN 978-3-932170-74-1
Interesse? Leider gibt es diesen Titel nur noch antiquarisch, als gebundes
Buch wie auch als Taschenbuch.
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