Unterdrückung und Herrschaft: Die Pyramide
Der junge Pharao Cheops erschüttert seinen Hofstaat, als er kurz nach
seiner Thronbesteigung verlauten lässt, dass er im Gegensatz zu seinen
Vorgängern keine Notwendigkeit sieht, eine Pyramide errichten zu lassen. Ein
Pharao ohne Pyramide? Undenkbar! Der Pharao muss überzeugt werden, dass es
unerlässlich ist, eine Pyramide zu errichten. Schließlich findet sich das
Argument, dass Cheops nicht abtun kann: Ohne Pyramide wird es zu zu großem
Wohlstand in der Bevölkerung kommen, zu Aufstand und Rebellion. Allen
bisherigen Pyramiden ging eine solche Krise voraus. Für andere Großmächte,
symbolisieren die Pyramiden Ägyptens Reichtum, Ruhm und Herrschaftsanspruch –
das ägyptische Volk wird durch ihren Bau hingegen unterdrückt und an der
Rebellion gehindert, die Pyramide vernichtet eben jenen überflüssigen Wohlstand
und das Freiheitsstreben des Volkes.
Cheops beugt sich schließlich dem Drängen seines Innersten Kreises. Seine
Pyramide sollte Ägypten ebenso in die Knie zwingen wie alle anderen zuvor.
Doch nicht nur die Bevölkerung leidet unter der Erbauung der Pyramide,
auch der Pharao fürchtet das Monstrum, das er ins Leben gerufen hat, sein
monumentales Grab, welches sein Leben überschattet und sich zuletzt ihn selbst
einverleiben wird.
Was zunächst anmutet wie ein historischer Roman, ist im Grunde eine
politische Parabel über die Mechanismen despotischer Herrschaft, ihre Schrecken
und ihre Brutalität, welche nicht zuletzt die Dunkelheit widerspiegelt, die in
allen Menschen lauert.
„Die Pyramide“ ist kein frohes Buch. Es lässt einem das Herz stocken
und drückt einem die Luft aus den Lungen. Über allem lastet schwer und fühlbar
erdrückend das Gewicht der Pyramide, das Gewicht der Unfreiheit, der
Unterdrückung.
Geschickt zeichnet Ismail Kadare durch kapitelweise wechselnde
Perspektiven ein umfassendes Bild der Zustände und Auswirkungen der Planung
sowie der Errichtung der Pyramide. Jede involvierte Gesellschaftsschicht kommt
dabei zu Wort, zuletzt der Pharao selbst. Seine Pyramide ist ihm unerträglich,
er erträgt den Gedanken nicht, eines Tages von dem von ihm selbst geschaffenen
Ungeheuer verschlungen zu werden – diese Schilderung der sich zur Paranoia auswachsenden
Abneigung des Pharaos Cheops hat kafkaeske Züge. Machtlos, geradezu ohnmächtig
steht der mächtigste Mann Ägyptens dem Ungeheuer gegenüber, das seine
Herrschaft sichern sollte.
Wie jeder Despot fürchtet er diejenigen, die er unterdrückt.
Rücksichtslos werden daher alle Anzeichen von Verschwörung, ob sie denn nun
tatsächlich vorhanden sind oder doch nur imaginiert, aufs Brutalste verfolgt
und vernichtet.
Cheops Pyramide, der Garant seiner absoluten Herrschaft, ist errichtet
aus den Tränen, dem Schweiß, dem Blut und Wohlstand seiner Untertanen. Leichen
pflastern den Weg der Steine, die in ihr verbaut werden, all die Todesfälle
beim Bau selbst müssten die Pyramide vor Blut im Grunde rostrot verfärbt haben.
Es schaudert und schockiert. Es prägt sich ein, das Bild der übermächtigen
Pyramide. Ein unglaubliches Symbol für etwas unsagbar Schreckliches. Für etwas,
das die Geschichte immer wieder zu wiederholen scheint, explizit im 20.
Jahrhundert. Kadare selbst weist darauf hin: Cheops war nicht der erste seiner
Art und nicht der letzte. Obgleich er sich wie viele Despoten am Ende seiner
eigenen Sterblichkeit beugen musste, ist sein Ende doch noch einmal
schrecklicher: Verschlungen von seiner eigenen Pyramide und erdrückt von ihrem
Gewicht, dem Gewicht dessen, wofür sie steht, bis in alle Ewigkeit.
„Die Pyramide“ ist kein historischer Roman. Cheops selbst lag
vermutlich nie in seiner Pyramide, zumindest tut er es schon lange nicht mehr.
Liest man Ismail Kadares Roman jedoch als Parabel, als Mahnung, dann können
einem die Andeutungen nicht entgehen, dann muss man den Wert dieses
literarischen Prosawerkes erkennen. So stellt der Autor in seinem „Epilog aus
Glas“ den unmissverständlichen Bezug zur (albanischen) Gegenwart her.
Es drängt sich dem geübten Auge natürlich der Vergleich mit dem
herausragenden Nagib Machfus (einer meiner Lieblingsautoren) auf, der mit
seinen drei Pharaonen-Romanen ebenso die Missstände seiner Lebenszeit im Medium
des Vergangenen anprangerte wie Ismail Kadare es in diesem Roman tut.
Große, bedeutende Literatur. Solch eine niederschmetternde, fühlbar
bedrückende Stimmung zu schaffen, die Dunkelheit des Menschen so treffend und
nachwirkend zu beschreiben – das bedarf großen schriftstellerischen Könnens.
Die Pyramide (orig. Piramida)
von Ismail Kadare
2014 S. Fischer
ISBN 978-3-10-038410-2
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