Fünf Federn, fünf Einflüsse: Fünf Menschen, die mir fehlen
Mary war immer die Unscheinbare neben ihrer schönen Schwester Malinda.
Malinda hat ihre Schönheit von ihrer Mutter geerbt, Margaret. Marys und
Malindas Kindheit war geprägt von der unsteten Art ihrer Mutter, sich stets
durch ihr Aussehen einen neuen Mann anzulachen, von dem sie sich die glorreiche
Zukunft erwartete, die ihr ihrer Meinung nach zustand. Als Erwachsene erinnert
sich Mary nun an all die Menschen, die sie seit ihrer Jugend geprägt haben:
Außenseiter sind es, nicht mal so wirklich sympathisch, zum Teil haben sie
Marys Leben auch nur in einer einzigen kleinen Begebenheit gestreift und so
dessen Kurs verändert.
Sie widmet diesen Menschen fünf Elegien, die erste ihrem wilden,
drogenabhängigen Onkel Mike. In einer unsicheren Zeit ihrer Kindheit, als ihre
Mutter gerade nicht wieder verheiratet war, kümmerte sich ihr Onkel um sie und
ihre Schwester, er lebte bei ihnen, bis er beschloss, ein neues Leben in der
Großstadt, in New York zu beginnen, um der Enge und Perspektivlosigkeit des
ehemaligen Industriestädtchen zu entkommen.
Elwood LePoer ist die zweite Elegie gewidmet, er war das einfältige Stadtgespött,
doch er wendete in einem kurzen Augenblick das Schicksal von Marys kaputter
Familie.
Ihre Zimmergenossin im ersten Collegejahr, Carson, ist auch einer der
Menschen, die Mary fehlen. Sie hat der stillen, in sich gekehrten, unsicheren
Mary Halt und ein klein wenig Mut gegeben, in diesem einen kurzen Jahr, bevor
sie sich ihren eigenem Schicksal stellte.
Auf der Suche nach ihrer ausgerissenen, wilden Schwester begegnet Mary
James, einem genialen, gescheiterten Pianisten. Seine Freundschaft und sein
Einsatz zwingen Mary dazu, ihr Studium zu beenden.
Zuletzt bleibt da noch eine Elegie, an die Frau, die Marys Leben von
Beginn an geprägt hat. An ihre Mutter.
Ein wunderbarer Roman, ganz anders als sonst üblich, folgt er keiner
durchgehenden Handlung, sondern ist in fünf Kapitel, entsprechend der fünf
Elegien, aufgeteilt. Anhand dieser Elegien, dieser Lebensgeschichten von fünf
mittlerweile verstorbenen, auf ihr eigenes Leben einflussnehmenden Personen,
erzählt Mary, ganz nebenbei und nie offensichtlich, von sich selbst. Der Titel der amerikanischen Originalausgabe „Elegies for the
Brokenhearted“ unterstreicht noch stärker als der dennoch sehr gut gewählte
deutsche Titel den Charakter dieses Romans.
Christie Hodgens Sprache ist dabei ähnlich ihrer Protagonistin, die
mehr als Chronistin und Erzählerin auftritt, sehr zurückhaltend und dabei doch
umso gewählter. Man findet in diesem Roman nie die klassische direkte Rede, stattdessen
werden die Aussagen der jeweiligen Person, dessen Elegie der Leser gerade
vorgetragen bekommt, in kursiv gesetzt. Optisch macht das die Seite natürlich
sehr interessant und sorgt auch für ein ungewohntes Leseerlebnis.
Die Autorin berichtet uns nicht nur von einem verpfuschten, aussichtslosen Leben, sondern gleich von fünf gescheiterten Leben, sogar von
sechs, wenn wir Marys Schwester Malinda hinzuzählen. Die Tode der fünf
Vermissten sind ebenso sinnlos wie es ihre Perspektiven im Leben waren. Dennoch
haben alle fünf nie aufgegeben und für das gekämpft, was ihnen am Herzen lag –
auch wenn sie dabei noch so oft enttäuscht und verletzt wurden.
Großartige Literatur über Außenseiter, ein Portrait des vielfältigen
Scheitern des Menschen und nicht zuletzt über das Leben in sterbenden
Kleinstädten Amerikas finden wir in diesem Roman.
Fünf Menschen, die mir fehlen (orig. Elegies for the Brokenhearted)
von Christie Hodgen
2014 Albrecht Knaus Verlag
ISBN 978-3-8135-0586-3
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