Der Alptraum jedes Bibliophilen: Das Papierhaus


Die Literaturprofessorin Bluma Lennon wird von einem Auto erfasst, als sie dabei ist, in einem soeben erworbenen Gedichtband Emily Dickinsons lesend, die Straße zu überqueren. Sie ist auf der Stelle tot. Ihr Lehrstuhl an der Universität wird vorübergehend vom Ich-Erzähler, den mit Bluma auch eine sexuelle Beziehung verband, übernommen. An Bluma adressiert, erhält er kurz darauf ein aus Uruguay stammendes Päckchen mysteriösen Inhaltes: Joseph Conrads „Die Schattenlinie“ – eine alte Ausgabe, verheerend zugerichtet durch Zement. Keinerlei Notiz findet sich dabei, nur die Widmung, die Bluma selbst in dem Band hinterlassen hatte. Der Erzähler durchforstet nun Blumas Vergangenheit auf der Suche nach dem so offensichtlich mit ihr einmal verbandelten Absender des Buches. 
Er selbst stammt aus Buenos Aires und einen vorgezogenen Besuch in der Heimat verbindet er mit der Suche nach Blumas ehemaligem Liebhaber Carlos. 
Es beginnt eine Reise entlang der Küste Südamerikas auf den Spuren einer zerstörten Bibliothek und des Irrsinns eines Bibliomanen.

Es ist eine kleine Erzählung, nur 96 Seiten umfassend, dennoch so reich und sogar preisgekrönt: 2001 erhielt Carlos María Domínguez damit den Preis der Fundación Lolita Rubial. Zu Recht. Ein kleiner Schatz für alle Bibliophilen ist diese Erzählung, zugleich eine Mahnung, was geschehen kann, wenn die Sammelleidenschaft außer Kontrolle gerät. 
Anhand der Geschichte des Liebhabers von Bluma, Carlos Brauer, einem Bibliophilen, Lesewütigen, zeigt der Autor die beunruhigen Seiten einer Leidenschaft auf, die zunächst zur Obsession wurde, das gesamte Leben in Beschlag nahm, es bestimmte. Schon langsam den Verstand verlierend, begann Carlos zunächst, seine umfangreiche Bibliothek, die er kaum pflegen und vor Ungeziefer schützen konnte, nach einem eigenen, neuartigen Modell zu katalogisieren. Als sein Katalog jedoch durch ein Feuer zerstört wird, hat er keinen Hinweis mehr, wo welches Buch sich aus welchem Grund befindet – nachvollziehbar, denn bei 20 000 Büchern kann man schon mal den Überblick verlieren. In Verzweiflung, Raserei und Resignation, dass er seiner Bibliothek nie mehr Herr werden kann, tut er seinen heißgeliebten Büchern, für die er all sein Geld ausgegeben hatte, Gewalt an: Er baut aus ihnen ein Haus, das Papierhaus, welches er schließlich auch zerstören und zurücklassen sollte. 
Blumas Schicksal selbst – ihr Tod, versunken in die Gedichte Emily Dickinsons – hat einen solch enormen Symbolgehalt, welcher auch stets betont wird und seinen extremen Spiegel im Schicksal von Carlos Bibliothek findet: Bücher und das Lesen sind gefährlich. Wie jede andere Leidenschaft, sei es nun das Lesen oder das Sammeln der Bücher, kann beides zur Obsession und schließlich zum Alptraum werden, wenn sie eskaliert. 
Die grandiosen, reduzierten Illustrationen von Jörg Hülsmann sind ein Erlebnis für sich, sie verzaubern den Betrachter und machen diese Ausgabe zu etwas ganz Besonderem. 
Wundervolle, symbolhaltige Prosa, für jeden Bibliophilen ein Muss und eine Warnung zugleich.

Das Papierhaus (orig. La casa de papel) 
von Carlos María Domínguez 
2014 Insel Verlag 
ISBN 978-3-458-17615-2
 
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